Liebe Leserin, lieber Leser,
in dieser Woche hat es erstmals seit langer Zeit wieder ein Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat gegeben. Die Bundesregierung verfügt zwar über eine komfortable Mehrheit im Deutschen Bundestag, nicht aber im Bundesrat. Nachdem die von CDU und CSU mitregierten Länder vor zwei Wochen dem neuen „Bürgergeld“-Gesetz nicht zugestimmt hatten, konnte eine Einigung nur in einem förmlichen Vermittlungsverfahren erzielt werden.
Bei den Gesprächen zwischen Union und Bundesregierung konnte – neben anderen – in einem sehr wesentlichen Punkt eine Einigung erzielt werden, nämlich bei den Mitwirkungspflichten der Leistungsempfänger. So gilt in Zukunft eben keine „Vertrauenszeit“, in der es praktisch keinerlei Pflichten zur Beteiligung an Weiterbildungs- oder Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt gibt. Das aber war neben einer deutlichen Anhebung des Schonvermögens und der Karenzzeit, bis zu der das eigene Vermögen für die Lebensführung nicht in Anspruch genommen werden muss, der Kern des „Bürgergeld“-Gesetzes. Es gelten auch in Zukunft vom ersten Tag des Leistungsbezugs an Mitwirkungspflichten, bei deren Verweigerung bis zu 30 Prozent der Leistungen gekürzt werden können. Schon Gerhard Schröder nannte dieses Prinzip „Fördern und Fordern“ – wer steuerfinanzierte Sozialleistungen erhält, muss daran mitwirken, dass er irgendwann auch wieder aus eigener Kraft den Lebensunterhalt erarbeiten kann. Damit bleibt der wesentliche Bestandteil der „Hartz IV“-Reform der Agenda 2010 der früheren rot-grünen Bundesregierung bestehen.
SPD und Grüne haben das Gesetz nach der Einigung im Vermittlungsausschuss trotzdem in hohen Tönen gelobt. Was sollten sie auch anders tun? Alles andere wäre dem Eingeständnis einer zu großen Kompromissbereitschaft zu nahe gekommen.
Wie es wirklich um die Stimmung der SPD und der Grünen nach dem Kompromiss bestellt war, konnten wir am Tag nach dem Kompromiss an einem zum Teil außergewöhnlich rüden Ton des sozialpolitischen Teils der Haushaltsdebatte feststellen. „Soziale Kälte“ und „Schäbigkeit“ gegenüber den Bedürftigen waren dabei noch die harmlosen Formulierungen. Hinter dieser Missstimmung aber steckt ganz offenbar ein sehr grundsätzlicher Dissens. Wir sind uns mit der Ampel einig, dass den Bedürftigen im Land, ganz gleich ob sie verschuldet oder unverschuldet in Not geraten sind, helfen müssen, und zwar angemessen und nicht kleinlich. Aber muss der Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland ohne Inanspruchnahme der eigenen Mitwirkung wirklich lange und längere Zeiträume Transferleistungen zahlen? Sollen wir ernsthaft in die Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens immer weiter vorangehen? Kann man über Eigenverantwortung nicht mehr sprechen ohne den Vorwurf mangelnder sozialer Empathie?
Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft beruht neben dem Prinzip des Wettbewerbs auf den Grundsätzen der Subsidiarität und eben der Eigenverantwortung. „Eine freiheitliche Wirtschaftsordnung kann auf die Dauer nur dann bestehen, wenn und solange auch im sozialen Leben einer Nation ein Höchstmaß an Freiheit, an privater Initiative und Selbstvorsorge gewährleistet ist.“ So hat es Ludwig Erhard einstmals ausgedrückt, und so gilt es auch im neuen „Bürgergeld“-Gesetz der Ampel – auch wenn der Name etwas anderes zum Ausdruck bringt, und auch wenn die Koalition etwas ganz anderes gewollt hat. Aber so bleiben trotz eines auf 163 Milliarden Euro angestiegenen Etats des Bundesministers für Arbeit und Soziales wenigstens einige Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft auch im Sozialrecht erhalten.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Ihr Friedrich Merz