Liebe Leserin, lieber Leser,
in diesen Tagen veröffentlichen viele deutsche Unternehmen ihre Zahlen für das Jahr 2022. In Kürze beginnen die Hauptversammlungen der börsennotierten Gesellschaften, und schon jetzt ist absehbar: Viele deutsche Unternehmen haben im Jahr 2022 so viel Geld verdient wie schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Diese Nachricht steht nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu den vielen schlechten Nachrichten aus manchen Handwerksbetrieben und Unternehmen, die von der Energiepreiskrise ganz besonders hart betroffen waren. Insgesamt war das Jahr 2022 für die deutsche Wirtschaft ein sehr viel besseres Jahr als wir noch zu Beginn des Krieges in der Ukraine befürchten mussten.
Die Aktiengesellschaften werden ihren Aktionären im Durchschnitt folglich sehr hohe Dividenden auszahlen. Allein die im deutschen Aktienindex DAX gelisteten Unternehmen dürften für das Jahr 2022 voraussichtlich über 50 Milliarden Euro an ihre Aktionäre ausschütten. Aber wer sind diese Aktionäre, die sich in den nächsten Wochen über so viel Geld freuen können?
Anders als in vielen anderen Ländern Europas gibt es schon seit vielen Jahren in Deutschland fast kein börsennotiertes Unternehmen mehr, das sich mehrheitlich im Besitz deutscher Aktionäre befindet. Ausnahmen sind nur einige wenige Unternehmen, die traditionell deutsche Unternehmerfamilien unter ihren Aktionären haben. Ganz überwiegend aber sind die Eigentümer der klangvollen deutschen Aktiengesellschaften Aktionäre aus der ganzen Welt, die nun den Ertrag der erfolgreichen Arbeit der deutschen Unternehmen ausgezahlt bekommen. Man kann es auch so formulieren: Millionen von deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern arbeiten im Jahr nicht nur für das eigene Gehalt, sondern auch für die Dividenden von Millionen ausländischer Aktionäre.
Die gute Nachricht ist: Diesen Zusammenhang haben mittlerweile viele jüngere Menschen erkannt. Die Zahl der Aktienbesitzer ist in Deutschland im letzten Jahr erneut leicht gestiegen. Immerhin haben jetzt gut 12 Millionen Bundesbürger Aktien oder Aktienfonds in ihren Depots liegen. Aber die schlechte Nachricht folgt daraus: An 4 von 5 Bundesbürgern gehen die hohen Dividendenauszahlungen der deutschen Unternehmen einfach vorbei. Darunter sind sicherlich viele, die nicht sparen können. Aber die Mehrzahl der Bundesbürger spart einfach falsch. Das Geldvermögen der Deutschen liegt nach wie vor und ganz überwiegend auf Spar- und Girokonten.
Dabei wird dieses Geld in doppelter Hinsicht so dringend gebraucht wie nie zuvor: In den nächsten Jahren müssen die deutschen Unternehmen verstärkt in die Dekarbonisierung und die Digitalisierung investieren, damit sie wettbewerbsfähig bleiben. Das können sie aber nur mit einer ausreichenden Kapitalausstattung. Und die Erträge aus den Erfolgen der nächsten Jahre werden vor allem zur Sicherung der Alterseinkommen in Deutschland gebraucht. Länder wie die Niederlande, Dänemark, Schweden und viele andere sind uns in dieser Hinsicht um Jahrzehnte voraus.
Wer also in den nächsten Tagen und Wochen weitere gute Meldungen von deutschen Unternehmen über ihre Zahlen aus dem Jahr 2022 liest, der sollte darüber nachdenken, ob sie oder er in der Zukunft daran nicht auch persönlich ein wenig mehr Freude haben könnte.
Mit besten Grüßen
Ihr Friedrich Merz