Liebe Leserin, lieber Leser,
die letzte Sitzungswoche des Deutschen Bundestages vor der parlamentarischen Sommerpause war gekennzeichnet von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die die Tagesordnung ordentlich durcheinandergebracht hat. Erstmalig in der Parlamentsgeschichte hat das oberste deutsche Gericht untersagt, dass ein Gesetz in zweiter und dritter Lesung an dem Tag verabschiedet wird, den die Regierungsmehrheit dafür vorgesehen hatte. Die umfangreichen Änderungen am Gebäudeenergiegesetz der Ampel waren so spät in die Beratungen eingebracht worden, dass das Gericht die Möglichkeiten der einzelnen Abgeordneten in verfassungswidriger Weise beeinträchtigt sah, sich ausreichend mit den Gesetzestexten zu befassen.
Vordergründig hat die Ampel die Entscheidung akzeptiert. Aber ohne eine weitere Beratung des Gesetzes im dafür zuständigen Parlamentsausschuss vorzusehen, hatte die Regierungsmehrheit am Tag nach der Entscheidung nichts Besseres zu tun, als die unveränderten Texte sofort auf die Tagesordnung des Bundestages für die erste Sitzungswoche nach der Sommerpause zu setzen. Mit anderen Worten: Weitere Beratungen unerwünscht, Änderungen nicht vorgesehen.
Dabei hätte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die Gelegenheit gegeben, zum Beispiel die Vorschläge der erst am Montag dieser Woche angehörten Sachverständigen zu berücksichtigen und noch einmal in eine sorgfältige Beratung aufzunehmen. Auch die Sachverständigen waren befremdet über die Eile, die die Koalition mit diesem Gesetz an den Tag gelegt hatte („Einer parlamentarischen Demokratie unwürdig“). Aber nichts dergleichen: Die Koalition drückt das Gesetz mit ihrer Mehrheit durch, jetzt eben im September.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag aber auch eine ganz grundsätzliche Botschaft mit auf den Weg gegeben: Die Verkürzung der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen in den Beratungen von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat muss die Ausnahme bleiben und darf nicht zum Regelfall werden. Genau das ist aber in den letzten Monaten passiert. Während im langjährigen Durchschnitt etwa jedes sechste Gesetz aufgrund der Eilbedürftigkeit mit Fristverkürzungen beraten und beschlossen wurde, war es im letzten Jahr – coronabedingt und als Reaktion auf Putins Krieg in der Ukraine sicher gerechtfertigt – schon jedes zweite. In diesem Jahr wurden die Fristverkürzungen aber zur täglichen Routine, nur noch eines von vier Gesetzen wurde von der Ampel im Rahmen der normalen Fristen beraten und beschlossen. Und diese Hektik lässt sich mit Krieg und Krisen nun nicht mehr erklären.
Gründlichkeit vor Schnelligkeit sollte daher das Leitmotiv in der Gesetzgebung der Ampel werden. Denn Fristen haben ihren Sinn, sie sind keine bloße Formalie. Sie dienen der Gelegenheit, ein Gesetzgebungsverfahren in Ruhe und mit Bedacht durchzuführen, Änderungen zu diskutieren und aufzunehmen, handwerkliche Fehler zu vermeiden. Es liegt jetzt auch an der Präsidentin des Deutschen Bundestages, dieses Recht des Parlaments durchzusetzen.
Mit besten Grüßen
Ihr Friedrich Merz