Liebe Leserin, lieber Leser,
Deutschlands Wohlstand ist sehr weitgehend ein Wohlstand des Außenhandels. Seit Jahrzehnten exportiert die deutsche Wirtschaft mehr Waren als sie importiert. Unsere Exportüberschüsse waren immer auch ein Streitpunkt mit unseren wichtigsten Handelspartnern, auch und vor allem innerhalb der EU.
Seit der Einführung des Euro vor gut zwanzig Jahren fehlt den großen Mitgliedstaaten, die ebenfalls sehr stark auf den Export setzen, zudem ein Instrument, mit denen sie gegen die starke D-Mark immer wieder (kurzfristige) Vorteile erringen konnten, nämlich die Abwertung ihrer Währung gegen die D-Mark.
Die deutsche Wirtschaft hat es verstanden, aus den Abwertungen der Wettbewerber und der Stärke der D-Mark immer wieder Vorteile für sich zu gewinnen: durch beständige Innovationen und durch eine beständige Verbesserung ihrer Produktivität. Damit blieben die Exporte trotz und sogar wegen der starken Währung immer ein wesentlicher Treiber unserer Wettbewerbsfähigkeit. Innovationen und Produktivität bestimmten damit über Jahrzehnte den Umfang unseres Wohlstandes.
Obwohl Länder wie Frankreich, Italien und Spanien im gemeinsamen Währungsraum des Euro gegen uns nicht mehr abwerten können, stagniert die deutsche Wirtschaft und fällt im Aufholprozess nach Corona hinter diese großen Länder in Europa zurück. Die hohen Energiepreise machen der deutschen Wirtschaft schwer zu schaffen, vor allem die energieintensive Industrie verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Da mag eine ambitionierte Wasserstoffstrategie Besserung in Aussicht stellen, aber die Energiekosten, vor allem die Stromkosten, werden in Deutschland auf viele Jahre sehr hoch bleiben: Die zusätzlichen Anlagen für Wind- und Sonnenenergie müssen erst einmal gebaut werden, bevor daraus billiger Strom entsteht. Und bis zur Fertigstellung der benötigten Netzinfrastruktur und dem Bau der Gaskraftwerke in der Reserve, die kein Energiewirtschaftsunternehmen ohne Abnahmegarantien bauen wird, ist es ein langer Weg. Ein heruntersubventionierter Industriestrompreis stößt dagegen zu Recht auf große Skepsis, denn die Abgrenzung zu den weniger energieintensiven Unternehmen ist genauso fragwürdig wie eine Genehmigung dieser Subvention durch die EU-Kommission.
Allein die Absenkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz, die Übernahme der Netzentgelte durch den Bund und die Genehmigung von Direktverträgen zwischen Erzeugern und Verbrauchern könnten den Strompreis in Deutschland wirkungsvoll senken. Damit wäre zwar ein Kostenproblem wenigstens teilweise gelöst, aber nicht unser Rückstand bei Innovationen und Produktivität. Zur Zeit kommt praktisch keine neue Idee einer industriellen Innovation aus Deutschland. Vor allem die Gasförderung und die Abscheide- und Verwertungstechnologien für CO2 bleiben in Deutschland verboten. Wir importieren dafür lieber Gas, auch wenn es aus Fracking kommt, und wir bewundern die CO2-Technologien in anderen Ländern wie in Norwegen, erlauben sie aber im eigenen Land nicht.
Auch die Nutzung biotechnologischer Verfahren, die die EU-Kommission nun umfassend auch für die Nahrungsmittelproduktion genehmigen will, stößt auf den Widerstand der deutschen Bundesregierung und könnte an ihr scheitern. Die Energieversorgung und die Energiekosten bleiben ebenso ein Problem für Deutschland wie der größer werdende Rückstand in Forschung und Entwicklung bestimmter Technologien.
Dahinter steht eine ganz grundsätzliche Frage: Wollen wir eigentlich ein Land mit industrieller Erzeugung und positiver Handelsbilanz bleiben? Oder müssen wir uns auf eine schleichende Deindustrialisierung und mit ihr auf größere Wohlstandsverluste einstellen? Auf diese Frage sollte irgendwann einmal die Bundesregierung eine glaubwürdige Antwort geben – und vielleicht sogar der Bundeskanzler selbst. Die Zeit drängt, und die Welt wartet nicht auf Deutschland.
Beste Grüße
Ihr Friedrich Merz