#MerzMail 31

Liebe Unterstützerinnen,
liebe Unterstützer,

mit dem Amtsantritt der neuen amerikanischen Regierung in Washington verbinden sich viele Hoffnungen, auch in Deutschland. Wir dürfen vor allem wieder mit einem „normalen“ Umgangston untereinander rechnen, die Zeiten der Twitter-Attacken eines egomanischen Präsidenten sind vorbei, Gott sei Dank.

Trotzdem geht das transatlantische Verhältnis nun nicht in große Harmonie über. Die neue Regierung der Vereinigten Staaten teilt vielmehr im Wesentlichen die Bedrohungsanalysen der Vorgängerregierung, etwa im Hinblick auf China und Russland. In Washington existiert ein sehr viel klareres Lagebild über den Charakter der politischen Regime in Beijing und Moskau. Unterschiedliche Einschätzungen treten in diesen Tagen aber auch zwischen den europäischen Staaten zutage, vor allem zwischen Deutschland und Frankreich. Und kein Projekt zeigt die Zerrissenheit Europas derzeit deutlicher als der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee.

In der Energiewirtschaft ist jedes Projekt „politisch“

Diese Pipeline war nie ein rein „wirtschaftliches“ Projekt. In der Energiewirtschaft ist seit jeher jedes Projekt „politisch“, von der Stromleitung über Land bis zum Ausbau der Windparks. „Politischer“ als Nord Stream 2 geht es nicht mehr. Wirtschaftlich ist diese Pipeline zumindest gegenwärtig weder notwendig noch alternativlos. Sie ist im Gegenteil ein wesentlicher Baustein zur Stabilisierung eines politischen Systems, das seit dem Mordanschlag auf Alexej Nawalny und seiner Verhaftung vollends in eine lupenreine Diktatur abgleitet, die sich nach innen und außen nur noch mit polizeilicher und militärischer Gewalt abzusichern weiß. Daher gibt es trotz aller eigenen Interessen, die die USA mit Gaslieferungen aus Amerika nach Europa natürlich haben, eine Übereinstimmung der Sicherheitsinteressen zwischen den USA und Europa, die politisch und militärisch in der NATO zusammenfließen. Auch und gerade deshalb hat die neue amerikanische Regierung jedes Recht und gute Argumente auf ihrer Seite, das Pipeline-Projekt zu kritisieren und seine Fertigstellung in Frage zu stellen.

Nach Corona kommen Herausforderungen, die Europa mindestens ebenso fordern werden

Doch warum gibt es in Deutschland diesen unbedingten politischen Willen, diese Pipeline zu Ende zu bauen? Wirtschaftlich wäre der Abbruch der Bauarbeiten oder zumindest ein längeres Moratorium natürlich schädlich, immerhin sind schon viele Milliarden Euro ausgegeben worden. Ein erzwungener Abbruch hätte aber einen mindestens ebenso großen wirtschaftlichen Schaden zur Folge – und den politischen Schaden für alle Beteiligten gleich mit dazu. Oder schätzt die Bundesregierung die Versorgungslage nach der „Energiewende“ als so kritisch ein, dass die Pipeline doch gebraucht wird, wenn nach dem endgültigen Aus für die letzten Atom- und Kohlekraftwerke vermehrt Gaskraftwerke benötigt werden, um die Grundlast in der Energieversorgung zu sichern?

Es gibt – hoffentlich bald – ein Leben nach Corona. Doch wenn die Pandemie hinter uns liegt, treten einige Herausforderungen zutage, die die Europäische Union mindestens ebenso fordern werden wie das Virus. Aber es gibt einen gewichtigen Unterschied: In der Gesundheitspolitik hat die EU keine Zuständigkeiten, und es stellt sich jeden Tag immer deutlicher heraus, dass man es dabei auch besser belassen hätte. Aber die Energieversorgung und die innere und äußere Sicherheit Europas können die Mitgliedstaaten nicht allein gewährleisten. Ohne Not treten die Europäer bei diesen eminent politischen Themen geschwächt und zerrissen einer neuen amerikanischen Regierung gegenüber, die sich wieder einmal die Frage stellen wird: Welche Telefonnummer wählt der amerikanische Präsident, wenn er mit Europa sprechen will?
Herzlich

Ihr
Friedrich Merz

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